Rüdiger Bering:
Die Pandemie bringt ein paar Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft unbarmherzig zum Vorschein: ein extrem antiquiertes, kaputtgespartes und in ideologischen Gefechten zerriebenes Schulsystem; die Folgen einer Gesundheitspolitik, die nahezu alles den Gesetzen des Marktes und den Prinzipien von Rentabilität unterwirft; katastrophale Hygiene- und Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen aufgrund des Drucks, möglichst viel Fleisch möglichst billig anbieten zu wollen - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Mit diesen Themen sollten wir uns beschäftigen - denn sie sind schon länger akut, und unsere unerwartete Ausnahmesituation, dieses Innehalten, böte uns die Chance, diese Probleme endlich anzugehen. Die Pandemie als Thema ist viel weniger ergiebig: Zwar erleben wir kollektiv und weltweit eine Krise, die sich keiner von uns vorstellen konnte, aber wir wissen ja noch nicht einmal, wie lange wir uns mit Corona werden herumschlagen und ob wir uns nicht darauf einstellen müssen, dass solche Pandemien uns alle paar Jahre heimsuchen. Ich bezweifle, dass das Publikum vom Theater künftig mehr oder weniger intelligente Kommentare zu Corona sehen und hören will. Viellicht sucht es verstärkt Unterhaltung und Ablenkung, aber ich hoffe sehr, dass wir uns auch im Theater mit den nun noch sichtbarer gewordenen Problemen unserer Gesellschaft befassen können.